Kolbermoor - eine liebenswerte Stadt
An den Ufern der Mangfall, inmitten alpenländischer Hochmoore, liegt die Industriestadt Kolbermoor. Wo dieser Fluss einst wild schäumend sich durch urbayerische Landschaften dahin zog, schuf kühner Pioniergeist die erste industrielle Anlage – die Baumwollspinnerei und mit ihr die Ansiedlung, die 1863 nach Zusammenschluss der einstigen Mietrachinger Ortsteile Pullach und Aiblinger Au zu einer selbständigen Gemeinde wurde. Handwerklicher Fleiß und gewerbliche Tüchtigkeit gaben dem Ort bald ein Gepräge, das dazu beitrug, mehr und mehr Gewerbebetrieben Anreiz für eine Heimstatt zu bieten.
Kolbermoor, diese Stadt am Rande der bayerischen Voralpen, 462 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, mit ihrem milden und gesunden Klima, geschützt vor allzu rauen Winden durch Höhen im Norden, Wald im Westen und Osten und Berge im Süden, hat eine vielschichtige Bevölkerung. Da lebt der Arbeiter neben dem Bauern, der Geschäftsmann neben dem Beamten und Angestellten, der Pensionist neben dem Freischaffenden. Und doch bewahren alle ihre eigene Art. Vielleicht sind es gerade diese Kontraste, die die Menschen in Kolbermoor einander näher bringen und sie zu gegenseitigem Nutzen einen. Selten mag eine Symbiose so wirksam werden wie gerade in dieser Stadt.
Dieser Gleichklang mag auch dazu geführt haben, dass große Männer am Werk sein konnten, zum Wohle ihrer Mitbürger dem einst so unscheinbaren Ort zum Ansehen zu verhelfen. Erinnert sei dabei in erster Linie an die Verdienste der führenden Persönlichkeiten der Baumwoll- Spinnerei, allen voran an Theodor Haßler, der als erster einen Generalplan für das Ortsbild buchstäblich „auf dem Reißbrett" entwarf. Doch bevor seine Nachfolger daran gingen, weite Strecken des heutigen Stadtgeländes urbar zu machen, wobei sie harte Arbeit zu leisten hatten, wuchsen schon die ersten Häuser aus dem Moorboden. Es bauten der Schlosser, der Schneider, der Wirt, der Bäcker, der Schuhmacher, der Krämer, es bauten Bauern aus Bad Aibling, aus Aising, aus Pang. Fachkundige Maurer und Zimmerer, Torfstecher und Taglöhner errichteten für sich und andere Eigenheime. Für sie war nur wichtig, ein billiges, eigenes Dach über dem Kopf oder eine wirtschaftlich tragbare Mietwohnung zu haben. An das Schließen von Baulücken dachten sie nicht – ein Umstand übrigens, der dem heutigen Kolbermoor noch zu schaffen macht.
Es ist ohne Zweifel der Verdienst der Männer, die Kolbermoor zu führen hatten, dass im Laufe eines Jahrhunderts aus dem einstigen Fabrikdorf die heutige namhafte Stadt wurde. Ungeachtet der auf den Ort hereinstürmenden Katastrophen – Hochwasser, Feuersbrünste und Kriegsfolgen
– verfolgten sie unbeeindruckt das ihnen vorgegebene Ziel, das ihnen anvertraute Gemeinwesen über alle Fährnisse hinwegzusteuern und zu einem Gebilde zu formen, das jeder Kritik standhält. Zugleich war es ihr Streben, all denen eine Chance zu geben, die daran interessiert waren, sich als Gewerbetreibende niederzulassen oder eine Heimstatt zu finden.
Namen wie die Direktoren der Spinnerei, Hassler, Förster, von Bippen, Jordan und Hausenblas, sind in diesem Zusammenhang, da sie auch in der Kommunalpolitik eine bedeutende Rolle spielten, ebenso zu nennen wie die Reihe der Bürgermeister von Johann Ritsch bis Adolf Rasp, der als zehntes Gemeindeoberhaupt 15 Jahre nach der Stadterhebung und 18-jähriger Amtsführung seinen Platz einer jüngeren Kraft, dem Ersten Bürgermeister Erwin Huber, überließ. Unter der Amtszeit von Adolf Rasp nahm, wohl begünstigt durch den allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung, auch Kolbermoor eine stürmische Entwicklung, die zu seiner heutigen Größe führte.
Aber nicht nur die Ausdehnung Kolbermoors und der Zuwachs an Bevölkerung, bedingt durch Ausweisung neuer Baugebiete, hat die heutige Stadt bekannt gemacht. Es war auch der Pioniergeist der Siedler, die in Männern wie Winkelblech, Ludwig Prager, Dismas Reheis erfolgreiche Vorkämpfer fanden. Der Erhöhung des Bekanntheitsgrads diente aber auch das seit der Gründung des Ortes offensichtliche Bekenntnis der Kolbermoorer zu kulturellen Werten. Die Freude am Lied, an Tanz und Spiel, der Wille zu gemeinschaftlicher sportlicher Leistung zeichnen die Einwohner aus. Der Ehrentitel „Singendes Dorf", der der Moorstadt zuteil wurde, ist ehrlich verdient. Er bleibt für immer mit dem Altmeister heimatlichen Liedgutes, Hans Lorenz, verbunden, dessen Wirken als Nachfahre des Kiem Paul unvergessen ist.
Als ein Zeichen des nie versiegenden Pioniergeistes, der den Kolbermoorern innewohnt, ist auch die Durchsetzungskraft des örtlichen Mittelstandes zu werten.
Handwerker und Gewerbetreibende der verschiedenen Sparten hatten es seit Bestehen des Ortes nicht leicht, Zwangswirtschaft, Materialmangel, Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit,
Inflationen und Währungsreform zu überstehen. Ihnen ist es zu danken, dass das Stadtbild das attraktive Aussehen hat, das Kolbermoor schon von außen her so liebenswert macht.
Handwerkliches Können und gewerblicher Fleiß sorgen auch weiterhin dafür, dass der schon zu einem festen Begriff gewordene Slogan „Wertarbeit aus Kolbermoor" zu keiner hohlen Phrase
wird.
Bild: Die erste Aufnahme von Kolbermoor nach dem Krieg vom Spinnerei-Kamin aus in 62 m Höhe, November 1949, © A. Dussmann