Hochwasserflut 1899

Schreckensherrschaft der Mangfall

Als einer der schwärzesten Tage in der Geschichte Kolbermoors ist der 13. September 1899 zu verzeichnen. Durch 14 Tage hatte es unablässig geregnet, in den Bergen lag hoher Schnee, dessen Wasser sich mit dem der Bäche und Flüsse vereinigte, die anschwollen, brausten, brodelten und auszubrechen suchten. Die Mangfall wurde zum brüllenden und tobenden Sturm. Was ihre Fluten greifen konnten, nahmen sie mit: Häuser, Ställe, Bäume, Sträucher, Erde, Vieh und auch Menschen.

An einem Mittwoch brach das Unwetter los, ein Wolkenbruch jagte den anderen. Da und dort an einzelnen undichten Stellen schwappte die tosende, gurgelnde, schmutzig-gelbe Flut bereits über die Dämme. Ein Donnern, Dröhnen und Poltern ließ die Luft erzittern, übertönte den prasselnden, plätschernden, ununterbrochenen Regen. Von der „Wuhr" herunter schossen in ungehemmter Wucht und andauernder Folge die Massen des Wassers in die Tiefe.

Verängstigt und ohnmächtig standen die Kolbermoorer der entfesselten Naturgewalt gegenüber, bis auf die Haut durchnässt und bangen Herzens sahen sie dem makabren Schauspiel zu. In den Häusern an der Oberen und Unteren Mangfallstraße wurden die Wohnungen in den Erdgeschossen geräumt, die Einrichtungsgegenstände in die oberen Stockwerke gebracht, die Tiere aus den Stallungen geholt. Wer fliehen konnte, floh mit der eilig zusammengerafften Habe über die 1892 erbaute eiserne Brücke hinauf auf den Glasberg. Viele aber kehrten um, hatten Angst, die schon in ihren Fugen ächzende Brücke zu überschreiten, die schon vor den Wellen unterspült und teilweise überflutet war.

Stunde um Stunde verrann. Es wurde Mittag, es wurde Abend, es wurde Nacht. Pausenlos goss es in Strömen vom Himmel, die Mangfall stieg von Minute zu Minute. Das Wasser überflutete die Dämme, fand ihren Weg durch Wiesen, Gärten und Höfe und ergoss sich ungehemmt in die Straßen. Viele Häuser waren vom Wasser umgeben, von der Außenwelt völlig abgeschnitten. Doch die Mangfall stieg höher und höher, wollte sich wohl dafür rächen, dass sie Jahre zuvor gezähmt und in ihr Bett gezwungen wurde.

Von Westen her klang ab und zu das Wimmern einer Kirchenglocke, die ihre warnenden Töne weit über das gefährdete Land ertönen ließ. Schreckensbotschaften aus Nachbarorten gingen von Haus zu Haus. Der Zugverkehr von Rosenheim nach Holzkirchen wurde unterbrochen, die Gleise waren überschwemmt. Vom Bahndamm bis zur Staatsstraße war der ganze Ort ein schmutzig-gelber See. Um Mitternacht nahte die Katastrophe: Unter Klirren, Krachen und Barsten versank die eiserne Mangfallbrücke in de reißenden Fluten. In letzter Minute gelang es noch Geheimrat Carl Jordan, später Ehrenbürger von Kolbermoor, Direktor der Spinnerei, acht Kinder vor dem Ertrinken zu retten. In den Häusern längs der Mangfall schoss Wasser durch die Fenster, durch die eingedrückten Stuben- und Haustüren wieder ins Freie. Die Patienten des Krankenhauses wurden aus dem Erdgeschoss in höher gelegene Räume verlegt.

Am 14. September hörte gegen 8 Uhr der wochenlange Regen auf, die Wolken verzogen sich. Von Prien, wo Pioniere aus Augsburg im Katastropheneinsatz standen, kamen 100
Mann nach Kolbermoor. Sie brachten Pontons mit und richteten einen Notverkehr zwischen Kolbermoor und der „Viehwoad" ein, wie der Ortsteil jenseits der Mangfall damals hieß, und sicherten unterspülte Häuser vor Einsturz ab.

Am 15. September brach der linke Mangfalldamm in der Nähe des Friedhofes. Dort schossen die Wasser mit aller Wucht durch die zusehends größer gewordene Bresche. Ehe zehn Minuten vergangen waren, waren Friedhof und Alleebäume in den schäumenden Fluten versunken. Doch am kurz vorher erbauten „Textorhaus" am Kanal (Friedrich-Ebert-Straße) stießen sie auf erbitterten Widerstand: Alles was Hände und Füße hatte, eilte herbei, rammte Pfähle ein, türmte Sandsäcke und Steinbarrikaden auf. Nach zähem, verbissenem Kampf gingen die Kolbermoorer in der Auseinandersetzung mit der Naturgewalt als die Sieger hervor.

Zehn Tage währte die Schreckensherrschaft der Mangfall. Dann aber sank der Wasserspiegel rasch. Die Felder aber waren verschlammt und vermurt, die Straßen aufgerissen und voll riesiger Löcher. Wiesen und Gärten hatte das Wasser weggeschwemmt und viele Häuser ihres Rückgrates beraubt – doch keines war eingestürzt und kein Menschenopfer zu beklagen.

Quelle: Chronik Kalhammer