Bittschreiben Fleischmann
1. Bürgermeister Fleischmann
Kolbermoor, den 12. Mai 1932
S.H.
H e r r n M a t t h . S .
Gutsbesitzer
B l i n d h a m
Post Feldkirchen.
E u e r H o c h w o h l g e b o r e n !
In einer Angelegenheit, die mir sehr am Herzen liegt, bitte ich mich an Euer Hochwohlgeboren wenden zu dürfen.
Seit vielen Jahren hat die Gemeinde sich mit dem Gedanken getragen, eine Schwimmbadeanstalt zu erbauen. Die Notwendigkeit eines Schwimmbades ist in einem Arbeiterort mit 5230 Einwohnern und rund 900 Schulkindern unbedingt gegeben und erhellt auch aus einem Gutachten der Kreisregierung die sich hierzu folgendermaßen geäußert hat: „Die Errichtung eines Schwimmbades in Kolbermoor ist für die gesundheitliche Entwicklung der Bevölkerung von Kolbermoor, besonders der Jugend von größter Bedeutung, zumal die Bevölkerung weitgehend in Industriebetrieben tätig ist".
Als besonders beachtenswert kommt hierbei noch in Frage, dass auch die Wohnverhältnisse in der Gemeinde überaus ungünstig sind, dass die in der Mehrzahl recht kleinen Wohnungen, obwohl niedrig, licht- und luftarm übermäßig stark belegt sind und so einen sehr guten Nährboden für Erkrankungen aller Art, vor allem der Atmungsorgane bilden. Es kommt nicht selten vor, dass Familien mit 8 und mehr Personen nur 2 kleine Räume zur Verfügung haben, die als Wohn-, Schlaf- und Kochraum zugleich dienen müssen, was schon vom Standpunkt sittlicher Erwägungen aus tief bedauerlich ist.
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In Krankheitsfällen ist eine Absonderung der Familienmitglieder nicht möglich und die Ansteckungsgefahr eine umso höhere. Aus diesen Gründen müsste zur Verhütung und Vorbeugung von Krankheiten alles nur irgend Mögliche geschehen. Als Vorbeugungsmittel gegen Krankheiten ist in erster Linie die körperliche Abhärtung und Reinlichkeit zu pflegen. Gerade für die Jugend ist dieses Moment von ganz besonderer Wichtigkeit.
Die Schulkinder haben hier nicht die Möglichkeit, im Winter oder Sommer- ein Bad zu nehmen - das wilde Baden kann nicht in Frage kommen aus Gründen der Sittlichkeit und der Sicherheit. Sie haben auch nicht Gelegenheit, das Schwimmen zu erlernen, das heute sogar zum Unterrichtsplan der Schulen gehört. Die Lasten, die das deutsche Volk heute zu tragen hat, und die Anforderungen, die im Arbeitsleben heute an jeden einzelnen gestellt werden, sind weit höhere als in Friedenszeiten und es bedarf gesunder Körper, kräftiger Menschen, wenn die Last getragen werden soll ohne dass das arbeitende, schaffende Volk dabei zu Grunde geht. Die Jugend, auf der einst die Hauptlast liegen wird, bedarf darum in erhöhtem Maße de öffentlichen Fürsorge. Sie muss vor allem ertüchtigt, abgehärtet und gestählt werden.
Im Hinblick auf diese hohe Bedeutung des Badens für das Volk hat der Gemeinderat im Jahre 1929 den immer wieder erhobenen Forderungen nach Schaffung eines Schwimmbades endlich nachgegeben und sich entschlossen, die
Erbauung eines Schwimmbades in Angriff zu nehmen, umso mehr als die verehrl. Baumwollspinnerei Kolbermoor den Platz für das Bad unentgeltlich der Gemeinde überlassen hat. Ausschlaggebend war dabei die Erwägung, dass durch den Bau eine Anzahl von Wohlfahrtserwerblosen, die an sich auch von der Gemeinde unterhalten werden mussten, vorübergehend eine Verdienstmöglichkeit erhielt und damit nicht bloß eine gemeinnützige, sondern auch eine soziale Tat vollbracht würde. Mit Hilfe eines zu sehr geringen Zinsfuss erhaltenen Darlehens konnten im Laufe des Jahres 1929 und 1931 die Erd- und Betonarbeiten ausgeführt werden, sodass das Badebecken vollkommen fertig gestellt ist.
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Der Badebetrieb darf jedoch erst aufgenommen werden, wenn der Platz mit einem geschlossenen Bretterzaun eingefriedet ist und einige Aus- und Ankleidekabinen geschaffen sind. Hierzu sind ca. 600 qm Holz erforderlich, das notwendige Dacheindeckungsmaterial und das Beschläge für die Türen. Mit 1200 RM dürften diese Arbeiten ausgeführt werden können. Die trostlose Finanzlage der Gemeinde gestattet aber nun die Durchführung der genannten Arbeiten nicht, weil es der Gemeinde bei ihrer fürchterlichen Belastung mit Fürsorgeausgaben nicht möglich ist, diese Beträge aufzubringen. Ein paar Zahlen mögen die Wahrheit dieser Tatsache beweisen!
Die örtliche Industrie liegt seit nahezu 3 Jahren sehr darnieder. Die Baumwollspinnerei, die seit fast 2 Jahren die dreitägige Arbeitszeit hatte einführen müssen, kann seit 9. Mai nur noch an zwei Tagen wöchentlich arbeiten lassen; das Tonwerk, das seit 7 Monaten vollständig still stand, hat am 9. Mai mit nur einem Brennofen den Betrieb wieder aufgenommen und vergütet die Arbeiter mit einem ganz bedeutend herabgesetzten Lohne, die Elektrodenfabrik arbeitet überhaupt nur wochenweise und hat außerdem die Arbeiterzahl ebenfalls erheblich herabgemindert. Die Einnahmen der Gemeinde gehen dadurch erschreckend zurück, während die Fürsorgeausgaben in Schrecken erregender Weise anwachsen. Allein die Einkommen-und Körperschaftssteuer sank von 85000 RM im Jahre 1928 auf 12000 RM im Jahre 1931, wovon 10000 RM noch für das Krisenfünftel in Abzug kommen; die Fürsorgelasten dagegen stiegen von 51000 RM im Jahre 1928 auf 145000 RM im Jahre 1930 und 192000 RM im Jahre 1931 an; für das Jahr 1932 ist mit einem Aufwand von sicher 270000 RM zu rechnen, wogegen die Gesamteinnahmen mit Anstrengung 150000 RM erreichen dürften. Dass unter solchen Verhältnissen die Gemeinde nicht in der Lage ist, die Mittel für die Fertigstellung des Bades jetzt aufzubringen, dürfte keinem Zweifel mehr unterliegen.
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Wiederum steht eine Badezeit vor der Türe und wiederum hofft unsere Jugend, dass das Schwimmbad, das nun seit fast 3Jahren im Bau ist, ihr in diesem Sommer übergeben wird. Auch die Turn—und Sportvereine erwarten mit Sehnsucht die endliche Übergabe des Bades an die Allgemeinheit, um einen Sport auch hier ausüben zu können, der gerade vom Standpunkt der körperlichen Ertüchtigung aus weitestgehende Förderung verdient. Ohne Herstellung einer
vorschriftsmäßigen Einfriedung und ohne Schaffung von Auskleideräumen kann das Bad aber nicht in Benützung gegeben werden. Um dem Wunsche der Jugend gerecht werden zu können und um einem berechtigten Bedürfnis abhelfen zu können, wage ich es an Euer Hochwohlgeboren die ergebenste Bitte zu richten, zur Fertigstellung des Bades eine Spende in Holz oder in bar gütigst gewähren zu wollen.
Ich weiß, dass meine Bitte etwas Ungewöhnliches darstellt, aber die entsetzlichen Verhältnisse in der Gemeinde, unter denen man auch seelisch schwer leidet, mögen das Außergewöhnliche meines Schrittes entschuldigen. Auch das Mitgefühl mit der Jugend, die unter schwierigsten Verhältnissen heranwächst und so vieles entbehren muss, ermutigt mich, an Euer Hochwohlgeboren mich zu wenden.
Für sie und alle jene, die heute unfreiwillig feiern müssen, die kaum eine Aussicht haben, in einem Berufe unterzukommen, bitte ich, weil in einem Leben bitterster Not und größter Entbehrung die Betätigung im Sport eine willkommene und gesunde Ablenkung bedeutet, weil sie über die verzweifelte Stimmung in etwas hinweghilft. Schließlich darf noch erwähnt werden, dass die Durchführung der Arbeiten, wenn sie auch in der Hauptsache im Wege der Pflichtarbeit geschehen soll, doch für ein paar Handwerksleute Verdienst bringt, die nach langer Arbeitslosigkeit auch einen sehr bescheidenen Verdienst mit heißer Sehnsucht erwarten und in größter Dankbarkeit hinnehmen. Eine harte Sorge wäre durch die Ermöglichung der Fertigstellung des Bades von mir genommen, weil das bisher aufgewendete Kapital doch nicht nutzlos ausgegeben worden wäre.
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In meiner tiefen Sorge um die Gemeinde bitte ich mein Anliegen nicht unwillig aufnehmen und uns inetwas helfen zu wollen. Wenn jemand so wie ich seit nahezu drei Jahren die unverschuldete Not des Volkes in unmittelbarer Nähe miterlebt, der wird in meinem Bemühen um die Gemeinde auch auf diesem Wege nichts Ungehöriges erblicken können. Ich tue es ja nicht für mich, ich tue es aus Mitgefühl mit der hart ringenden Bevölkerung und im Interesse von Heimat und Vaterland. Indem ich wegen meiner Kühnheit nochmals um gütige Entschuldigung bitte, ersuche ich etwaige Spenden in bar auf das Postscheckkonto der Gemeinde - Nr.50966 Postscheckamt München - überweisen zu wollen. Für jede Gabe, die ich in heißer Freude hinnehme, spreche ich im Voraus den tief gefühltesten, innigsten Dank aus.
Mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung verbleibe ich
Euer Hochwohlgeboren
ergebenster
Fleischmann
1. Bürgermeister