"Baumwoll-Toni" und "Tiroler-Ferdl"

Manche Kolbermoorer schwelgen heute noch in der Erinnerung an die „gute, alte Zeit", wenn sie an ihren Stammtischen im Wirtshaus beisammen sitzen. „Ja mei", hört man sie da sagen, „des war hoit no a Zeit, wenn's früher mit dene Urviecher zammg'sessen san. Da is oft g'lacht wor'n, dass de Wänd' g'wackelt ham." Ein bisserl übertrieben ist diese Behauptung bestimmt, doch einige Körnchen Wahrheit sind in diesen Reden schon drin. Es kursieren immerhin über frühere Kolbermoorer einige handfeste Geschichten, die heute immer wieder aufgefrischt werden und die Brüder am Wirtshaustisch zum Lachen bringen.

Ein guter Nährboden für diese Originale scheint die Aiblinger Au gewesen zu sein. Da war zunächst einmal der Toni Antoni, dann der „g'selchte Hans" und schließlich der „Tiroler Ferdl". Gerade der Ferdl war noch in den siebziger Jahren ein recht gefürchteter Mann in den umliegenden Wäldern. So kam es, wie es auf gut kolbermoorerisch hieß, „dass ihm der Schmarrn auf'm Tisch verfault ist". Auf deutsch soll das besagen, dass die Polizei, die seiner nach langem Suchen habhaft geworden war, keinen Pardon kannte und den Ferdl vom Mittagstisch weg verhaftete und einlochte.

Zwei ganz durchtriebene Burschen, die auch zuerst in der Aiblinger Au wohnten, dann aber sich in den Ortskern von Kolbermoor „verzogen", „wei's da vom Gericht weida weg war'n", waren der „Baumwoll- Toni" und sein Spezi, der „Hammerl Hansgirgl". Im Hause vom Toni wurde Garn gesponnen, weshalb er diesen Spitznamen durch sein ganzes Leben mitschleppen musste. Er und der Hansgirgl standen ihrer teils heiteren, teils ernsten Gauklereien wegen ständig mit den Behörden auf dem Kriegsfuß.

Der Girgl bekam seine ersten „Bußen" ab, als noch die Prügelstrafe gang und gäbe war. Hatte er sein Quantum erhalten, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als ins Wirtshaus zu laufen und seine vermeintlichen Heldentaten an den Mann zu bringen. Dass er sich aufs Ausschmücken und Übertreiben verstand, war bekannt. Einmal, so geht die Fama, soll er dem Gerichtsdiener, der ihm 15 kräftige Hiebe auf den Allerwertesten verpasst und nach dieser ungewöhnlichen Anstrengung eine Verschnaufpause eingelegt hatte, patzig gefragt haben: „Wos is, pfeifst scho aus'm letzten Loch, weilst nimma zuahaust?"

Ein andermal stand er wieder vor dem Amtsrichter in Bad Aibling und führte sich recht lackelhaft und frech auf. Als dann durch den Richter persönlich der „Watschenbaum" umgefallen war, verbat er sich energisch derartige Späße mit unverschämten Worten, bis auch seine andere Wange die fünf Finger des Richters zu spüren bekommen hatte. Da aber lief dem Girgl „die Gall über". Er schubste den „gestrengen Herrn" gegen den wackeligen Ofen des Amtszimmers, der zu Bruch ging und jagte zur Tür hinaus. Gerichtsdiener und zwei Gendarmen hinterdrein. An der Glonn erst holten sie den Flüchtling ein. Der aber hatte, wie er später berichtete, eine „soichane Stinkwuat", dass er seine drei Verfolger allesamt mit einem Stoß in die Glonn warf. Sein Pech dabei aber war, dass er von ihnen mit hineingerissen wurde. So wanderte er aus den kühlen Fluten für zwei Jahre ins Kittchen nach Laufen.

Auch im Kolbermoorer Gemeinderat saßen vor rund 100 Jahren Männer, die dem tierischen Ernst feind waren. Da wird in der Chronik als ein Original besonderer Art der „Gachermartl" genannt, der mehrere Jahre im Gemeinderat saß. Zwei seiner Ratskollegen standen ihm zur Seite, wenn es galt, Vorschriften zu überspringen, deren Berechtigung die drei nicht einsahen. Es waren dies der Brückenwirt Cornelius Preis und der Krämer Michael Steck. Die Chronik erzählt, dass es damals sehr schwierig für junge Paare war, die Heiratserlaubnis von der Gemeinde zu erhalten. Die finanziellen Verhältnisse mussten gesichert sein. War das Geld nicht da, konnte nicht geheiratet werden. Die drei Ratsherren aber drückten bei der Abstimmung im Gemeinderat des Öfteren zwei oder besser sechs Augen zu, um den heiratslustigen Jungen zu ihrem Eheglück zu verhelfen. Warum sie die Augen zudrückten, kündet ein in der Chronik überliefertes Gedicht:

„Wer beim Steck recht ei'kaft,
beim Preis ois versauft
und am Gachermartl an Brat'n und's Bier zoiht,
der hot bestimmt Hochzeit boid."